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Rechtshilfe Azadi e.V. über die Repressionspolitik der BRD

29 Jahre PKK-Betätigungsverbot in Deutschland: Keine Änderung der Repressionspolitik unter der Ampel-Regierung!

Am 26. November 1993 trat das vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther verfügte Vereins- und Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie angebliche Tochter- und mögliche Nachfolgeorganisationen in Deutschland in Kraft. Auf dieser Grundlage fanden in den letzten 29 Jahren zehntausende von Strafverfahren statt, wurden Grundrechte der in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden außer Kraft gesetzt, Demonstrationen und Kundgebungen verboten. Politisches Engagement ohne jeden strafrechtlichen Verstoß ist vielen Kurdinnen und Kurden ohne deutschen Pass unter Maßgaben des Ausländerrechts zum Verhängnis geworden. Einbürgerungen wurden verweigert, der Asylstatus wieder aberkannt und Menschen per Ausweisungsverfügung die Aufenthaltserlaubnis und damit jede gesicherte Lebensgrundlage in Deutschland entzogen. Kurdische Einrichtungen und Vereine waren flächendeckend der Bespitzelung durch Polizei und Geheimdienste ausgesetzt. Das Verbot hat tief in das Leben der Menschen eingegriffen und bei vielen die Erfahrung
hinterlassen, der Verfolgung in der Türkei entkommen zu sein, um in Deutschland wieder in einer Falle zu sitzen.


Kurdische politische Gefangene

Schon seit Ende der 1980er Jahre wurden Dutzende kurdischer Aktivist*innen mittels der umstrittenen Paragraphen §129 und §129a Strafgesetzbuch (StGB) als Mitglieder in einer inländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung angeklagt und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Als mangels Tatbeständen die Anklagen zurückgingen, kam 2010 der Bundesgerichtshof der Regierung zur Hilfe und legte nahe, auch kurdische Aktivistinnen und Aktivisten nach dem im Jahre 2002 eingeführten §129b als Mitglieder einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu verfolgen. AZADÎ hat seit der
BGH-Entscheidung 59 Aktivist*innen registriert und betreut, die aufgrund dieses Paragraphen verurteilt wurden bzw. deren Verfahren noch nicht eröffnet sind. Derzeit befinden sich acht Kurden auf der Grundlage von §§ 129a/b in Untersuchungs- oder Strafhaft.


Kontinuität im Bundesinnenministerium
Die Repression gegen die kurdische Befreiungsbewegung in Deutschland scheint unabhängig davon zu sein, welche Parteikonstellationen die jeweilige Bundesregierung stellt. Die aktuelle Bundesinneministerin Nancy Faeser knüpft nahtlos an die Politik ihres CSU-Amtsvorgängers Horst Seehofer an. So wurden am 18. Oktober in Saarbrücken das kurdische Gesellschaftszentrum e.V. sowie mehrere Privatwohnungen durchsucht. Grundlage waren neue Anklagen nach §129b gegen
vier politisch aktive Kurden, nachdem zuvor die für die Anklagen nötigen Einzelermächtigungen beim Bundesjustizministerium eingeholt wurden. Auch eine nur wenige Tage später aus einer saarländischen Stadt stammende Aktivistin hat die deutsche Justiz auf dem Flughafen Brüssel in Auslieferungshaft nehmen lassen. Sie war auf der Rückreise von Rojava ins Saarland. Ihr wird vorgeworfen, für die PKK-Jugendorganisation tätig gewesen zu sein. Während die angeblich wertegeleitete neue Außenpolitik von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) vor allem Russland und China im Fokus der Kritik hat, herrscht gegenüber massiven Menschenrechtsverletzungen des NATO-Partners Türkei sowohl in der Politik als auch den Leitmedien Schweigen. Fast tägliche Drohnenangriffe auf Zivilpersonen in Nordsyrien
und im Nordirak finden ebenso wenig Erwähnung – oder gar Kritik – wie der gut dokumentierte Einsatz chemischer Waffen gegen die kurdische Guerilla seitens der türkischen Armee seit April dieses Jahres.


Neben der Drohung, die Grenzen zur EU für Flüchtlinge in der Türkei zu öffnen, hat Präsident Erdoḡan im Rahmen des Krieges in der Ukraine ein neues Druckmittel in der Hand. Der angestrebte NATO-Beitritt von Schweden und Finnland kann nur mit der Zustimmung aller NATO-Länder erfolgen. Die Türkei, die neben Ungarn aktuell als einziges Land den Beitritt noch nicht ratifiziert hat, verlangt unverhohlen ein (noch) härteres Vorgehen gegen politische Aktivitäten der kurdischen
Befreiungsbewegung in Europa. Auch wenn bezüglich der Forderungen aus Ankara Schweden im Fokus steht, sehen sich die anderen NATO-Länder in der Pflicht, die Türkei nicht zu verprellen und setzen verstärkt auf Repression wie etwa bei Razzien in Polen am 4.Oktober. Dass die Zusammenarbeit der deutsch-türkischen Repressionsbehörden auch auf höchster Ebene
läuft, zeigt der dreitägige Besuch des Generalbundesanwaltes Dr. Peter Frank bei seinem türkischen Amtskollegen im Juli. Auch auf mehrere Nachfragen von Presse und Bundestagsabgeordneten weigerte sich die Bundesregierung, konkrete Angaben zum Inhalt des Treffens zu machen. Mehr als ungewöhnlich ist es auch, dass Frank zum Abschluss der Reise von dem sonst sehr protokollbewussten türkischen Staatspräsidenten Erdoḡan persönlich empfangen wurde.


Jin – Jian – Azadi
Welchen tiefen Einfluss die kurdische Befreiungsbewegung auf die Veränderungen im Mittleren Osten hat, zeigt sich aktuell im Iran, wo die Parole der kurdischen Befreiungsbewegung „Jin – Jian – Azadi“ (Frau – Leben – Freiheit) von allen iranischen Volksgruppen als Aufruf zum Sturz der Diktatur mitgetragen wird.
Mit dem Betätigungsverbot der PKK dreht sich die deutsche Politik hingegen seit fast dreißig Jahren im Kreis. Weder die tiefgreifende ideologische Umorientierung der kurdischen Befreiungsbewegung noch ihr dominierender Beitrag im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) formell auch an der Seite Deutschlands, haben bislang zu einem Umdenken in der Politik und bei den Repressionsbehörden geführt.


Ebenso wie der Widerstand in Kurdistan, braucht auch die internationale Solidarität einen langen Atem. Eine Gelegenheit, diesen zu zeigen, ergibt sich bei der bundesweiten Demonstration am 26. November 2022 gegen das PKK-Verbot in Berlin,
11:00 Uhr, Hermannplatz, Neukölln!


Rechtshilfefonds AZADÎ e.V.
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